Essay

Rettet die Schönheit!

Autor: Werner Gamerith

Für eine Rehabilitation der Ästhetik

Unsere angeborene Sehnsucht nach Schönheit ist keine rückschrittliche Sentimentalität, sondern wichtige Hilfe zur zukunftsfähigen Gestaltung unserer Welt, die wir ernst nehmen und dem profitorientierten Materialismus entgegenstellen müssen.

Immer mehr Landschaft wird verbaut. Österreich ist dabei sogar Rekordhalter. Und die verbleibende Landschaft wird allzu leicht missbraucht. Technokratische Formen der Bewirtschaftung sind auf Ertragsmaximierung ausgerichtet und nehmen auf Ästhetik und natürliche Vielfalt zu wenig Rücksicht, Schönheit und ökologischer Reichtum schwinden. Dabei sind Landschaften empfindliche Lebewesen, die allerdings nicht vermehrbar sind.

Landschaft als multipler Lebensraum

Landschaft ist nicht zu trennen von Mitwelt, Lebensraum und Biodiversität. Umweltbewusste Grundbesitzer wirtschaften sanft, weil sie wissen oder spüren, dass wirkliche Nachhaltigkeit nur bei Bewahrung der Lebensvielfalt möglich ist. So gehört zum naturnahen Waldbau das Belassen einiger alter Höhlenbäume und Naturwaldinseln, was zwar öffentlich gefördert, aber kaum beworben wird. Biobauern unterstützen den Artenreichtum durch Fruchtwechsel, Humusaufbau und Zwischenstrukturen statt chemiegestützter Monokulturen. Damit erzeugen sie bessere Lebensmittel und schonen Boden, Grund- und Oberflächenwasser. Weitblickende Touristiker verzichten auf Übererschließungen und nehmen Rücksicht auf die Harmonie und Eigenart einer Landschaft, weil sie schließlich davon leben.

Solche Einsichten sind leider noch nicht überall angekommen. Es schmerzt, wenn ausgerechnet Interessenvertreter erfolgreiche Bemühungen ihrer fortschrittlichsten Mitglieder ignorieren und unterlaufen. So behaupten manche Forstfunktionäre stereotyp, der bewirtschaftete Forst erfülle die Wohlfahrtsfunktionen besser als ein Naturwald. Bauern werden von ihrer Kammer beschworen, reichlich zu düngen, „damit aus Futterwiesen nicht Blumenwiesen werden, mit Unkräutern, Wild- und Giftpflanzen. Solche Wiesen laufen Gefahr, unter Naturschutz gestellt zu werden.“ („Die Landwirtschaft“, April 2011). Die Österreichische Landwirtschaftskammer trat gemeinsam mit der Industriegruppe Pflanzenschutz vor die Presse, bezeichnete das Verbot gefährlicher Stoffe als „unwissenschaftlich“ und schürte Ängste vor Versorgungs- und Arbeitsplatzeinbußen durch einen drohenden „Wirkstoff-Kahlschlag“. Solcher Unfug schadet ungemein allen Bestrebungen einer umweltgerechten Wirtschaft, fördert den weiteren Abbau der Artenvielfalt, den Zerfall von Ökosystemen, die ästhetische Verarmung von Landschaften.

Ästhetik als Bioindikator

Die Verhässlichung einer Landschaft zeigt in der Regel den Verlust von Arten, Lebensräumen und ökologischen Funktionen an und sollte uns deshalb alarmieren. Schönheit hat aber keinen Marktwert. Man kann sie nicht kaufen, versichern oder einklagen. Selbst wenn sie in Schutzgebieten festgeschrieben ist, hat sie in Behördenverfahren selten Gewicht. Einem Naturschutz-Sachverständigen in NÖ gelang es kürzlich sogar, den rechtlich verankerten Landschaftsschutz für die Wachau völlig zu pervertieren, indem er die Zulässigkeit einer neuen Forststraße in einem bisher unaufgeschlossenen, naturnahen Laubwald damit rechtfertigte, dass Forststraßen ja mittlerweile zum gewohnten Landschaftsbild gehören. Wenn Hässlichkeit zur Norm wird, kann sie auch in Schutzgebieten toleriert werden, ist da wohl die sinnentleerte Botschaft.

Umso notwendiger ist das wachsende Bewusstsein der Zivilgesellschaft, dass Vielfalt und ästhetischer Reichtum einer Landschaft kein Luxus, sondern Zeichen ihrer Gesundheit und Funktionsfähigkeit sind. Die meisten Erfolge im Artenschutz wie bei der Erhaltung wertvoller Natur- und Kulturlandschaften – von Nationalparken bis zu Mooren und Wildflüssen, Feucht- und Trockenwiesen – verdanken wir ästhetisch wie ökologisch motivierten Naturschutzverbänden und Einzelpersonen. Die sind eine unentbehrliche Ergänzung zum politisch und finanziell meist schwach aufgestellten amtlichen Naturschutz.

Neben einem Netz von Schutzgebieten ist der ökologische Wiederaufbau verödeter Nutzlandschaften durch naturfreundliche Nutzungsformen eine Jahrhundertaufgabe. Außer kanalisierten Flüssen sind auch viele einförmige Forste, überdüngte Wiesen und ausgeräumte Agrarlandschaften zu renaturieren.

Eine Fülle von Befunden sowie Gesetze und internationale Abkommen verpflichten uns zur Rettung der Biodiversität. Denn diese hält die Ökosysteme stabil, welche unser Leben ermöglichen. Im Living Planet Report des WWF werden solche Zusammenhänge, bezogen auf Österreich anschaulich dargestellt. Unermüdliche Aufklärung und Bewusstseinsbildung ist nötig, ebenso auch politischer Druck.

Recht auf Schönheit

Was Menschen als schön empfinden, kann kulturell überprägt sein, liegt aber dennoch nicht beliebig im Auge des Betrachters. Schönheit ist ein evolutionär entstandenes Grundbedürfnis, eine conditio humana, und daher als Menschenrecht einzufordern. Es entstand als mentales Werkzeug zum (Über)leben: Lebensräume mit optimalen Bedingungen wurden offenbar bereits von Frühmenschen als schön empfunden. Auch heute ist die ästhetische Anmutung einer Landschaft als erster, sinnlich spürbarer Gradmesser ihrer ökologischen Qualität ernst zu nehmen.

Das Erleben einer schönen Natur und ihrer Wesen fördert die Gesundheit und Widerstandskraft von Körper und Seele, es hilft uns, glücklich und stark zu sein. Naturkontakte sind außerdem von Kindheit an wichtige Hilfen zum Begreifen unserer Welt und des eigenen Daseins.

Jenseits aller wissenschaftlichen Begründungen motiviert uns die Liebe zur lebendigen Natur und die Sehnsucht nach dem Schönen, die Verschandelung der Landschaft als letztlich lebensbedrohende Schande wahrzunehmen und Widerstand zu organisieren. Neben allen kurz- und langfristig „nützlichen“ Funktionen von Landschaften und Lebensräumen ist deren ästhetische Qualität ein unmittelbar wahrnehmbares Merkmal, das Rücksicht verlangt.

Eine Beendigung des Raubbaues an Menschen und Natur, eine Ethik des Überlebens wird sich nur entwickeln in einem vertieften Bewusstsein unserer materiellen, emotionalen und spirituellen Verbundenheit mit dieser wunderbaren Welt. Der russische Dichter Fjodor Dostojewski sprach die Hoffnung aus: Schönheit wird die Welt retten. Nicht zuletzt brauchen wir ihre heilende und inspirierende Wirkung auf Körper, Geist und Gemüt. Unsere Nachkommen haben ein Recht darauf.

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